Auke Visser´s German Esso Tanker's site     |   home
Esso Hamburg (3) - (1974-1985)
An Bord "Esso Hamburg" - Part - 2
Part - 2
Ich blicke hinunter und nach vorn, wo das Hauptdeck - von dicken und dünnen Leitungsrohren wie mit Adern überzogen -
beinahe 300 Meter vorspringt und sich aus der Brückenperspektive konisch verjüngt. Die »Esso Hamburg" gehört der Esso
Tankschiff Reederei GmbH in Hamburg, aber sie hat weder öl für Esso geladen noch Öl für Deutschland. Sie ist an die Exxon
verchartert, die das Schiff auch an andere Firmen weitergibt, die öl von einem Winkel der Erde in einen anderen transportiert
haben wollen. Diesmal fährt das Schiff im Auftrag einer japanischen Firma namens Tonen Tankers. Für Elmar Hüttenmeister
jedoch ist das gleichgültig. Er muß lediglich wissen, wann er mit dem Schiff wo sein muß, um öl zu laden oderzu löschen.
Und dafür, daß er das immer weiß, ist Mister White vom New Yorker Dispatch zuständig.
Anzeigentafel zu r Überwachung der Laderäume, mit der beim Laden und Löschen die jeweilige Füllung der
einzelnen Tan kabteilungen überwacht und gesteuert wird.

Auch Mister White bleibt wie Ras al Ju'ay-mah ein abstrakter Name. Zunächst sandte er ein Telegramm an den »master esso-
hamburg« mit der Anweisung, der solle das Schiff nur soweit volladen, daß es zu einem bestimmten Datum unter Ausnutzung
der Tide risikolos die Untiefen der Singapurstraße passieren könne. Daraufhin zog Klaus Wohlfeil, als 1. Offizier an Bord betraut
mit der Beladung, den Taschenrechner zu Rate und kam zu dem Ergebnis, daß genau 186 217TonnenArab Medium in die
Tanks gepumpt werden könnten, und Elmar Hüttenmeister sagte, daß er sich vor Singapur noch einmal ein »Magengeschwür«
holen werde, weil man wegen der Enge der Fahrrinne und der Dichte des Verkehrs höllisch aufpassen müsse. Er werde jedenfalls
aus seiner Kapitänskammer ausziehen und auf der Brücke zwischen den Computern eine Art Feldbett aufstellen. Denn das
Mindestmaß an Ruhe, das er brauche, um an den kritischsten Stellen mit voller Konzentration das Schiff navigieren zu können,
finde er nur dort, ganz nah an den Schalthebeln des Schiffes. Natürlich können auch Klaus Wohlfeil und die beiden anderen
Offiziere das Schiff durch das Nadelöhr zwischen dem Indischen Ozean und dem Pazifik steuern. Sie alle haben das
Kapitänspatent und sind umsichtige, tüchtige Männer. Aber auch der Tüchtigste und Umsichtigste kann Elmar Hüttenmeister
nicht die Verantwortung abnehmen.
Während de r langen Fahrt vom Persergolf nach Europa bringen Hubschrauber vor Kapstadt Post und
Frischgemüse. (Foto F. Muthorst)

In der Singapurstraße muß es zugehen wie am Inntaldreieck bei Ferienbeginn, und Elmar Hüttenmeister empfand ganz sicher
keinen Groll, als Mister White ein paar Stunden vor Ladebeginn die ganze schöne Rechnung Klaus Wohlfeils über den Haufen
warf und mit ziemlicher Dringlichkeit telegraphierte, der »master essoham-burg« solle mehr öl als vorgesehen laden und statt
durch die Singapurstraße durch die Lombokstraße fahren. Das kostet zwar drei zusätzliche Tage Fahrt, aber dafürgibt es keine
Tiefgangsbeschränkungen. Der Grund für die neue Depesche läßt sich nur ahnen. Vielleicht ist der Verbrauch von öl in Japan
zurückgegangen oderein Teil der Raffinerie ausgefallen, so daß man dort Nachschub nicht so dringend benötigt. An Bord sagen
sie, daß die Tanker so etwas wie ein Pufferzwischen der Förderung des Öls und dessen Verbrauch seien. Da könne reguliert
werden, durch Beschleunigung oder Verzögerung des Transports.
Blick in den Maschinenraum eines Tankers. (Foto F. Muthorst)

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Wenn das öl durch die Manifolds in die Tanks fließt, darf nicht einmal mehr in den Kammern geraucht werden. Sogar
fotografieren darf man nicht mehr, denn jeder Funken kann Gefahr bedeuten.
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Es ist ein bißchen unheimlich, dieses Geschäft mit dem Lebenssaft, genauso wie dessen Abfüllung in diese riesigen schwimmen-
den Konserven ein bißchen unheimlich ist. Geraucht werden darf jetzt nicht einmal mehr in den Kammern. An Deck darf man
das ohnehin nie. Nicht einmal mehr fotografieren darf man in der Nähe der aus dem Wasser aufsteigenden Ölleitung. Wer kann
schon genau sagen, ob nicht durch die Elektronik in der Kamera ein Funke ausgelöst wird? Über dem Deck steht glasige Luft,
Gas, das aus Ventilen entweicht. Wenn sich dort etwas entzündet, kann sich der Tanker im Nu in eine lodernde Fackel
verwandeln und in die Luft fliegen. Als die Tanker immer gigantischer wurden, ist das ein paarmal passiert, und zwar zu einem
Zeitpunkt, zu dem keiner mit Gefahr gerechnet hatte: beim Reinigen des Tanks. Erst später kam man dahinter, daß es an der
Größe der Gewölbe lag. Dort bildeten sich durch statische Aufladung regelrechte Gewitter, wodurch die in den Tanks
verbliebenen Gase explodierten.
Die Welle, an deren Ende der Propeller sitzt, der den Tanker antreibt. (Foto R. Claassen)

Elmar Hüttenmeistererzähltmirdas,alsvon MisterWhite ein drittes Telegrammeintrifft. Grade sind die Schlauchleitungen von
den Manifolds abgeschlagen worden. 191 016 Tonnen Arab Medium sind in die Tanks geflossen. Der Ladevorgang ist beendet.
Mister White kabelt mit allen Zeichen der Aufgeregtheit, der»masteressohamburg« solle sofort den Ladevorgang stoppen und
doch durch die Singapurstraße gehen. Elmar Hüttenmeister telegraphiert lakonisch zurück, daß das Schiff schon voll sei, und
als in den nächsten Stunden Funkstille herrscht, sagt er: »Man kann richtig fühlen, wie die in New York jetzt rotieren.«
Was aus dem Rotieren herausgekommen ist, erfährt Elmar Hüttenmeister schließlich in einem vierten Telegramm, in dem es
heißt, der »masteressohamburg« solle mit der vollen Ladung zwei Tage später als vorgesehen durch die Singapurstraße.
Elmar Hüttenmeister sagt: »Richtig, dann ist die Tide noch günstiger, und wir können trotz unseres größeren Tiefgangs
durchrutschen.« Aber dafür muß er jetzt in der Nacht im Stoßverkehr durch den Engpaß. Und das wiederum sieht die Reederei
nicht gern. Ohne Zweifel, die Esso Tankschiff Reederei gehört nicht zu den Schiffseignern, die der Profite wegen ihre Tanker
auf Teufel komm raus um die Welt hetzen. Sie ist bekannt dafür, daß sie alle erkennbaren Risiken des Öltransports
auszuschalten versucht: durch eine Unzahl von Sicherheitsverordnungen, durch eine optimale Wartung ihrer Schiffe, durch
das Anheuern qualifizierter Besatzungen, durch eine sorgfältige Auswahl ihrer Kapitäne und Offiziere. Elmar Hüttenmeister
sagt: »Wir sind teurer als viele andere, aber unsere Chartererwissen, daß wir ihnen Sicherheit verkaufen.«
Elmar Hüttenmeister selbst ist so etwas wie ein Garant für diese Sicherheit. Er verkörpert eine seltene Mischung aus tüchtigem
Praktiker und geschultem Theoretiker. Daß seine Hände so klobig sind, rührt daher, daß er als Matrose angefangen hat und zu
lange Rost geklopft hat. Ehrgeizig hat er dann alle Patente gemacht, und heutegilt er als einerderfähig-sten Kapitäne, auch bei
der Besatzung.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
" Wenn der Koch nur Blödsinn in die Pfanne haut, ist doch alles aus...»
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Und das ist wichtig. Um mit dem Matrosen Fromme zu sprechen: » Auf so einem Tanker hängt doch alles davon ab, wie die
Schiffsleitung ist und was der Koch macht - wenn der nur Blödsinn in die Pfanne haut, ist doch alles aus.« An Bord der »Esso
Hamburg« also ist die Schiffsleitung in Ordnung, und der Koch macht auch keinen Blödsinn. Trotzdem sagt der Decksmann
Fromme: »Irgendwann, sag' ich Ihnen, kriegt man einen an die Matsche.« Und tatsächlich, muß man nicht
irgendwann verrückt werden, so ohne Auslauf, ohne Ablenkung, monatelang eingesperrt in dem weißen Kasten am Heck?
Sicher, die Reederei hat eine Bücherei an Bord eingerichtet, und sogar eine Tischtennisplatte ist aufgestellt. Selbst ein kleiner
Swimmingpool befindet sich an Bord. Aber immer nur lesen, Ping-pong spielen und im Viereck herumschwimmen? Keine
Mädchen? Keinen Schnaps? Nicht, daß der Matrose Fromme gern trinken würde. Aber er kann verstehen, daß auf anderen
Schiffen Matrosen schon versucht haben, aus Rasierwasser Schnaps zu destillieren. Man redet gern über solche Dinge und
jedesmal, wenn sie aufgewärmt werden, werden sie noch ein bißchen abenteuerlicher.

Ich gehe am Ende der Straße von Hormuz von Bord, hinter jener Engstelle, durch welche die Tanker im Geleitzug zu den
Zapfstellen des Öls fahren. Als ich im Helikopter über das Schiff fliege und die »Esso Hamburg« unter mir zum
Spielzeugschiffchen schrumpft, überlege ich mir, daß vielleicht das wenige, was auf einem solchen Tanker noch an die
abenteuerlichen Zeiten der christlichen Seefahrt erinnert, der Schnack ist, Seemannsgarn. Das letzte, was ich von dem
Schiff sehe, ist ein schwarzer Fleck, der immer weiter weg von Ras al Ju'aymah treibt - mit einer geschlossenen
Gesellschaft an Bord und einem Tropfen aus dem Meer an öl, das einst der Mineningenieur Max Steineke entdeckt hatte.

Peter Sartorius